Inhalt | Ein kahler Baumstamm ragt schräg aus dem kargen, graubraunen Boden. Stumpfe, blattlose Äste heben sich als kurze Striche dunkel vom bleiernen Himmel ab. Fahles Sonnenlicht dringt müde durch die Wolken, ein leiser Wind ist zu hören.
In dieser Totenlandschaft lebt Tomiko Mori. Ihr hat der Filmemacher Yair G. Magall ein behutsames, leises Porträt zugedacht. Das 23. Jahr beschränkt sich fast ausschliesslich auf fixe Einstellungen : Stillleben einer alten Japanerin, die selten in die Kamera blickt und sich dann auch gleich wieder abwendet. Als wäre sie ein Teil der Landschaft, sitzt sie schweigend vor ihrem Haus und malt. Ihre Stimme ist meist nur aus dem Off zu hören. Lakonisch, aber voller Zwischentöne erzählt sie von der Vergangenheit. Tomiko Mori hat ihr Leben gänzlich ihrem Mann gewidmet, einem Maler, der vor 23 Jahren verstarb, jedoch in ihrem Alltag allgegenwärtig geblieben ist. Vor dem Hausaltar spricht die alte Frau in stummen Gebeten zu und mit ihm.
In Das 23. Jahr scheint das Vergehen der Zeit zwischen Leben und Tod wie aufgehoben. Dass sie dabei trotzdem nicht stillgestanden ist, gehört zum geheimnisvollen paradoxen Zauber von Magalls Film. Zu Lebzeiten nämlich hat Tomiko Moris’ Mann seiner Frau das Malen stets verboten. Nach seinem Tod aber traf eine Lieferung weisser Leinwände ein. Die alte Frau begann zu malen und wagte es endlich, sich über das Verbot ihres Mannes hinwegzusetzen. Zugleich führt sie, auf ihre eigene Weise, dessen Arbeit weiter.
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